Heribert Prantl am 14.4.2007 in der "Süddeutschen":
Oettinger hat Filbingers horrible Rolle im Nationalsozialismus und dessen peinliche Rolle in der mühsamen Geschichte der Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik nicht neben die unzweifelhaften Verdienste seines Vorgängers gestellt, er hat sie auch nicht einfach ausgeklammert - sondern er hat Filbinger gerechtfertigt, ihn reinzuwaschen versucht. In Anlehnung an Erhard Eppler, der einst Filbinger ein pathologisch gutes Gewissen bescheinigte, mag man Oettinger eine fast pathologische Naivität attestieren.
Mit seiner Salvierung Filbingers hat er noch einmal aufgedeckt, was er hatte zudecken wollen - und also das Gegenteil dessen erreicht, was er bewirken wollte. Für Filbinger läutet nun kein stilles, sondern ein schrilles Totenglöckchen. Eine Entschuldigung Oettingers ist nicht veranlasst. Er hat halt gezeigt, wes Geistes Kind er ist. Das ist Strafe genug.
Bettina Gaus am 17.4.2007 in der TAZ:
Die meisten anderen Kritiker ließen Oettinger noch ein Hintertürchen offen - genau jenes Türchen, durch das er nun geschlüpft ist. Das ist traurig. Es wäre ein Zeichen von Selbstachtung, wenn die politischen Führungsspitzen dieses Landes unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit deutlich machten, dass sie diesen Ministerpräsidenten nicht mehr als Kollegen in ihren Reihen wünschen. Zu erwarten ist das allerdings nicht. Auch deshalb, weil die Erfahrung lehrt, dass die Öffentlichkeit solcher Diskussionen schnell überdrüssig wird. Neuer Tag, neues Thema.
Reinhard Borgmann am 16.4.2007 im Kommentar bei den Tagesthemen (mit freundlicher Erlaubnis des Autors):
Jetzt soll also Schluss sein, mit der Debatte. Guenther Oettinger hat sich entschuldigt, „Filbinger“ ist Schnee von gestern und die skandalöse Trauerrede auch. Wir sollen also wieder zur Tagesordnung übergehen, wenn es nach Angela Merkel und Guenther Oettinger geht: Kein Rücktritt nach der Verfälschung der Geschichte, der Verhöhnung der Opfer und der Beleidigung jedes halbwegs denkenden Menschen.
Oettinger hat dem wachsenden Druck - auch aus seiner eigenen Partei - endlich nachgegeben. Satz für Satz musste ihm abgerungen werden. Opportunismus und nicht höhere Einsicht haben ihn dazu gebracht. Eine armselige Haltung, die nur noch durch die Äußerungen des Chefs der Baden-Würtembergischen Landesgruppe im Bundestag Brunnhuber übertroffen wird. Der Parteifreund Oettingers unterstellte, dass ausgerechnet der Zentralrat der Juden mit seiner Kritik an Ministerpräsident Oettinger den Rechten in die Hände spiele. Da haben wir es also wieder – „Die Juden sind schuld“.
Auch wenn die Rücktrittsforderungen inzwischen zurückgenommen wurden: Günther Oettinger sollte tatsächlich sein Amt aufgeben, wenn er nicht in der Lage ist, die rechtskonservativen Kreise in seinem Landesverband in den Griff zu bekommen.
Und jetzt meine Kolumne:
Mutprobe
Günther Oettingers Trauerrede für Hans Filbinger folgten viele Worte – eine breitgefächerte, bunte Meinungspalette. Es sind ja vielleicht nur zwei Auswege aus dem Schlamassel im Angebot – Rücktritt oder Entschuldigung. Dahinter stecken aber mehr als nur zwei Themen – die Nazivergangenheit Filbingers und der Umgang mit ihr. Weniger Trauerspiel denn Moralité.
Oettinger wurde vorgeworfen, unwissend und dumm zu reden. Falsch. Er hat sich erklärt – zuerst mit der Feststellung, so denke man nun mal „in unserem Kulturkreis“, zum anderen mit dem ausführlichen Bezug auf seine Quellen – Golo Mann (konservativer Historiker), Günther Gillessen (ein ehemaliger FAZ-Herausgeber und Autor der „Jungen Freiheit“) und Hans Maier (ehemaliger Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken). Auch darüber hinaus sind genug Stimmen zu hören, die sich mit seiner Weißwäscherei zufrieden zeigen. Es geht hier - genauso wie bei der exemplarischen Diskussion zur Wehrmachtsausstellung (Oettinger war 1998 ihr Gegner) - um die Deutungshoheit. Und wie bei jeder Therapie bedeutet die Verdrängung Weh und die schmerzvolle Auseinandersetzung Wohl.
Sein Zögern und Zaudern sind nicht nur Oettingers Gewissensfrage, sondern die der gesamten Nation. Was folgte denn der Rede? Die ersten Buhrufe kommen von SPD, Grünen, DGB und dem Zentralrat der Juden, Pressekommentare folgen einen Tag später. Oettinger wurde verübelt, dass er mehrere Tage und Stationen gebraucht hat, um sich zu entschuldigen. Ich würde andere Maßstäbe setzen: Seine Zuhörer Wolfgang Schäuble, Lothar Späth, Erwin Teufel haben weder während der Rede noch bis heute Falsches an der Rede gefunden. Na und? Stört das mutige Journalisten, die im Kielwasser des Zentralrats schwimmen? Wo bleibt das Gedenken an 15000 durch die Nazis hingerichtete Deserteure? Wer wagt es, in ihnen Widerständler zu sehen?
Zwei Tage nach dem Eklat meldet sich die CDU-Bundesmutter, die den Landesvater mühsam zurückholt und ihn bei seiner Entschuldigung wie im Kindergarten behutsam begleitet. Merkel und Knobloch sind damit zufrieden gestellt, Hochhuth auch. Merkel „erwarte, dass die Entschuldigung jetzt auch gehört wird“. Noch majestätischer geht es kaum. Dieser Ton ruft eine zweite Empörungswelle hervor, die nicht enden will. So kippen manche Prognosen prominenter Journalisten gleich zweimal nacheinander – ermahnt zum Aufruhr will die Öffentlichkeit lieber doch nichts damit zu tun haben. Wenn sie aber von der Absolution des Zentralrates erfährt, will sie sich erst recht nicht beruhigen.
Rührende Briefe der Kriegsveteranen einerseits, welche ihre damalige Angst vor der „Lynchjustiz der Nazifanatiker“ beschreiben, und andererseits offen antisemitische Äußerungen auf mittlerem politischen Level („Da könnten wir ja auch gleichzeitig die Schließung des Zentralrats fordern“) zeigen eine enorme Breite und Zerrissenheit der Gesellschaft. Die Volksgemeinschaft ist hin.
Weiß die neu entstandene Öffentlichkeit mit dem eigenen Gewissen umzugehen? Jahrzehntelang wurde dieses Gewissen an den Zentralrat der Juden delegiert. Der war böse, klar. Jetzt zeigte der Zentralrat Milde. So eine Versöhnung, von oben diktiert, will die aufgebrachte Medienöffentlichkeit aber auch nicht. Das Moralisieren dürfe doch „kein jüdisches Thema“ sein. Gutes Futter, um sich wieder zu einigen?
Wenn die einzige Folge der Affäre die Erkenntnis Oettingers sein würde, dass ein amtierender Ministerpräsident nicht zu der Riege der Neurechten gehören darf, wäre es schon sehr viel. Dann hätte einer aus „seinem Kulturkreis“ den Weg nach außen gefunden. Denn Filbinger selbst hat seine Schuld nie eingesehen!
Darf ich daran erinnern, dass er nach seinem Rücktritt in Weikersheim mehr Schaden anrichtete, als er je als Landesvater hätte bewerkstelligen können? Wie will dieselbe Öffentlichkeit es verhindern, dass Hohmann und Günzel ihr Gift weiter verbreiten? Wäre es nicht besser, die Erledigung der Affäre einem Harald Schmidt zu überlassen: „Entschuldigt gefehlt hat der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger. Er bereitete die Geburtstagsrede für den 20. April vor…”
Von der Achtung zur Ächtung ist es nämlich nicht sehr weit…