...und so sieht ein Jude aus
Eigentlich sieben Juden, vier Männer und drei Frauen. So viele Typen kennt Stefan Braun. In einem „Stern“-Artikel werden sie von ihm bildhaft, ja bilderbuchartig vorgestellt: Ein zerstrittenes Panoptikum der alten Juden einerseits, die aus ihrer leidigen Rolle nicht herauskommen, und eine junge Frau andererseits, die nett und hellwach ist und ihr Leben zwischen drei Kulturen genießt.
Der eine hat seine Marotten, weil er zu den Nachkommen der Opfer gehört. Er lebt im Land der Täter und leidet darunter, wo doch alle anderen längst geheilt sind. Streng orthodox ist er, Frauen unterdrückt er in seinem Gottesdienst, vom Charakter her verschlossen und eher dumm, ständig auf der Suche nach Antisemiten. Erledigt.
Der zweite ist ein Chabadnik, seine Macken zeigen ihn noch wesensfremder. Er kommt nicht von hier, will nichts vom Holocaust wissen, seine Frau wird nie einem fremden Mann die Hand geben. Sehr konservativ, sagt Braun weiter und nickt ab, als hätte er den Sinn des Wortes verstanden.
Der dritte ist ein Russe. Stolz auf seine Abzeichen für den Sieg über die Nazis, bewundert der Bewohner eines ekeligen Altenheimes sich im Spiegel und ist bereit, mit einem jeden Besucher zu trinken. Er isst Salami und vertraut sich dem Gast an, dass die Wurst nicht koscher sei, ihm aber besonders schmecke: "Bitte nicht erzählen in der Gemeinde, was wir hier essen." Ehrenwort, das behält Braun für sich. Wenn diese Russen die Macht in den jüdischen Gemeinden übernehmen, dann bleiben ihre Augen kalt, was eindeutig von Verbindungen zum KGB zeugt. Hierzu führt der „Stern“-Redakteur einen Rabbiner ein und vor, um ihn das Schlimmste aussprechen und verdammen zu lassen: Atheisten.
Der vierte ist listig, geschäftstüchtig und medienerfahren. Er kann so gut wie alles, sogar liberale Rabbiner ausbilden, was nicht einmal der Zentralrat geschafft hat, aua-aua.
Drei Frauen sind auch dabei. Die eine ist aus Liebe zu ihrem Mann zum Judentum konvertiert, sie macht mit ihren 73 Jahren auf Braun einen besonders sympathischen Eindruck: „Sie lacht viel, sie redet wie eine in die Jahre gekommene Göre.“ Alles klar? Die andere hat „eine stolze, rotbraune Mähne. Die Frau kann kämpfen.“ Der Kampf besteht anscheinend darin, sich die Stefan Brauns dieser Welt vom Hals zu halten. Offensichtlich erfolgreich, weil sie viel weniger sympathisch geschildert wird. Dies vermittelt der Journalist auch indirekt, denn die dritte Frau beschreibt er mit einer anderen Sprache, wie begeistert. Sie ist angenehm in aller Hinsicht: „Dunkelgrüne, hellwache Augen, rotblonder Haarschopf, bunte Klamotten, Wildlederstiefel. Dazu die Zuversicht der Generation von morgen.“ Sie kann mit der Religion nichts anfangen, nur mit Gefühlen, genau das prädestiniert sie zur auserwählten Volksvertreterin - Braun erklärt sie zur vorbildlichen Jüdin und lässt sie sein Wort zum Sonntag vortragen: „Natürlich gebe es Antisemiten. Wie in anderen Ländern. Aber das dürfe nicht alles überlagern. Nicht ewig.“ Das wollten wir doch schon von Anfang an hören, nicht wahr? Balsam, diese junge Frau, sehr zuversichtlich. Und gleich danach noch vernünftiger: "Es gibt viel mehr im deutschen Judentum. Das muss unser Thema werden."
Lieber Stefan Braun, haben Sie schon mal versucht, Tipps an die Katholiken Deutschlands zu verteilen? Oder so richtig über die Eheprobleme einer evangelischen Bischöfin loszulegen? Nach dem Motto: Es gibt viel mehr im deutschen Christentum. Ich vermute eine etwas zurückhaltendere Reaktion Ihres Chefredakteurs. Es ist eine beneidenswerte Gabe, Karikaturen für Menschen auszugeben, menschliche, allzumenschliche Schwächen – als Mentalität einer vertraut fremden Kultur, und sich von oben herab über leidvolle Probleme lustig zu machen. Etwas pointiert: Reicht Ihnen gefillter Fisch plus Klesmermusik aus?