29. November 2007

Tony Judt wollte schon immer Hannah Arendt heissen

Tony Judt bekommt den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat die Öffentlichkeit darüber am 9.11.2007 informiert. Der Preis wird am 30.11.2007 in der Oberen Rathaushalle der Stadt Bremen durch die zweite Bürgermeisterin Karoline Linnert verliehen. Die Jury war sich offensichtlich einig. Dazu gehören (Link):

Prof. Antonia Grunenberg (Oldenburg/Berlin), Dr. Willfried Maier, (Hamburg), Dr. Otto Kallscheuer (Berlin/Sassari), Prof. Zdzilslaw Krasnodebski (Bremen/Polen), Zoltan Szankay (Bremen), Prof. Tine Stein (Berlin), Prof. Simona Forti (Turin/Italien).

Es gab keine Proteste, keine Differenzen, die die Öffentlichkeit erreichen würden, weder innerhalb der Jury noch im Hannah-Arendt-Verein bzw. in der Heinrich-Böll-Stiftung Bremen (immerhin 22 Mitglieder). So musste die Jüdische Gemeinde Bremen allein agieren. Elvira Noa und ich haben einen Offenen Brief geschrieben, der hier komplett veröffentlicht wird. In einem weiteren Beitrag werde ich Reaktionen darauf analysieren. Vorerst aber folgt der Text selbst, der am 21.11.2007 nach mehreren Tagen der Wartezeit öffentlich gemacht wurde:


Offener Brief
An die Hannah-Arendt-Jury, die Heinrich-Böll-Stiftung, den Bremer Senat anlässlich der Hanna-Arendt-Preisverleihung 2007

Es ist bekannt, dass die Sprache dem Menschen gegeben wurde, um seine Gedanken zu verbergen. Wir haben noch nie von einer Deutschlandkritik oder Frankreichkritik gehört, von der Israelkritik lesen wir aber täglich. Wenn einer - Jahr ein Jahr aus - sagt: Israel sei „umstritten“, „gehasst“, „ein Besatzer und Kolonialist“, „eine strategische Belastung“, „ein politischer Anachronismus“ etc., stellt sich die Frage, was das soll?

Wir würden sagen, das ist keine Kritik an einer Regierung, sondern eine antiisraelische Haltung. Man kann sich vorstellen, dass eine Gruppe empörter oder unzufriedener Bürger eines Landes in etwa eine solche Position annehmen könnte, aus Patriotismus oder andersherum. Wenn aber ein Außenstehender so etwas tut oder, besser gesagt, sehr viele besorgte Menschen nichts anderes tun, als solche antiisraelische Äußerungen in die Welt hinauszuposaunen, dann fragt man sich, welche Gründe es dafür gibt, wo doch alle anderen Staaten bei viel größeren Problemen darüber irgendwie besser wegkommen? Noch pikanter ist es, wenn einer erst durch solche Äußerungen prominent und mit Preisen überschüttet wird.

In der Jurybegründung wird peinlichst genau vermieden, nur ein einziges Wort über Judts Verdienste auf dem Gebiet des palästinensischen ideologischen Kampfes zu verlieren. Als Erbe Edward Saids vertritt er die offizielle palästinensische propagandistische Sicht auf die Geschichte, samt der erfundenen und verdrehten Fakten sowie des antiisraelischen Vokabulars.

Wenn das das politische Denken ist, für welches in Bremen 2007 ein Arendt-Preis verliehen wird, sowie in Wien 2007 ein Kreisky-Preis, dann sollte man das vielleicht auch direkt so sagen?

Judt ist als Historiker bei weitem nicht so anerkannt und gepriesen wie der Israelkritiker Judt. Der Historiker Judt erzählt in seinem Europa-Buch viele Geschichtchen, ohne dass daraus ein System bzw. eine Vision der Geschichte entsteht. Soll das tatsächlich der Grund sein, einen Hannah-Arendt-Preis zu bekommen? Der politische Denker und Essayist Judt ist der Poet eines Themas – Israel ex negatio. Seine Methode ist es, Zitate, die seine Meinung untermauern, zu manipulieren oder schlicht zu erfinden. Sein Programm des binationalen Staates ist, nach treffenden Worten Leon Wieseltiers, „keine Alternative für Israel“, sondern „die Alternative zu Israel.“ Die beiden letzten Aspekte werden in der Jurybegründung mit großem Schamblatt zugedeckt. Für wen ist es kein offenes Geheimnis? Für unsere Politiker, die über Judt erst durch die PR-Kampagne der Süddeutschen Zeitung erfahren haben? Dort gehört er zu der ausgesuchten Gruppe „guter Juden“, die antizionistische Klischees aussprechen, die einem deutschen Autor nach Möllemann schlecht zustehen.

Man würde uns sagen, das sei Demokratie, man solle das Recht des Anderen anerkennen, eine andere Meinung zu äußern. Klar. Wir sprechen der Bundeskanzlerin einen Leo-Baeck-Preis zu, vor allem dafür dass sie das Existenzrecht Israels mit ihrem Engagement sichert. Können wir glauben, dass gerade dem Senat Bremen nicht bewusst ist, dass er einem „guten Juden“ (dessen absurde Vorstellungen, sollten diese verwirklicht werden, Israel und auch die Palästinenser in die sichere Katastrophe führen würden) den Hanna-Arendt-Preis verleiht?

Einerseits ist da jener Preis, benannt nach Leo Baeck, einem Juden, der in Nazideutschland gerade noch überlebt hat, andererseits hier ein Preis, der den Namen Hannah Arendt trägt, einer Jüdin, die aus Nazideutschland gerade noch rechtzeitig fliehen konnte. Will man auf solche Weise ein gutes Gewissen herzaubern, indem man sagt, Hannah Arendt sei eine Kritikerin Israels gewesen – die Preisverleihung an Judt geschehe ihr ganz recht? Wir würden dies als Pietätlosigkeit bezeichnen.

Eventuell könnte die Jury auch die rechtsgerichtete Presse zum Interview mit Tony Judt einladen. Er hat darin Erfahrungen und bedauert es nicht.

Wir sind irritiert. Auch darüber, dass die Preisverleihung an einem Freitag-Abend und die Diskussionsveranstaltung an einem Samstag-Morgen stattfindet. Jüdinnen und Juden, die traditionell den Shabbat begehen, sind also von der Teilnahme ausgeschlossen.

Präsidium der Jüdischen Gemeinde Bremen

Elvira Noa, Dr. Grigori Pantijelew