Medialer Krieg um ein totes Baby
„Nach Angaben von Augenzeugen und palästinensischen Sicherheitskräften drangen am Dienstagabend erneut israelische Panzer in den Gazastreifen ein. Im Süden des Küstenstreifens wurde ein palästinensisches Baby von einem israelischen Soldaten erschossen.“
Das berichteten deutsche Zeitungen Anfang März in würziger Kürze, mit Hinweis auf die AFP als Quelle. War das Ziel der gepanzerten Operation die Erschießung eines Babys?
Der Blick in die vollständige AFP-Meldung lässt etwas anderes vermuten: „Nachdem israelische Panzer in der Nähe des Übergangs Kissufim in den Gazastreifen vorgedrungen seien, hätten Hamas-Kämpfer mit Handfeuerwaffen und Mörsergranaten auf die Truppen geschossen, berichteten Augenzeugen aus Chan Junis. Ein Aktivist der radikalen Bewegung Islamischer Dschihad und ein Säugling wurden demnach dabei getötet.“
Diese Fassung bringt etwas mehr Licht ins Dunkel: Die bösen Israelis sind unterbeschäftigt und marschieren einfach so ein, werden von Freiheitskämpfern beschossen, mit zwei zivilen Opfern als Folge. Der Babytod wird hier zu direkter Folge des Krieges aufgespielt, den Israelis immer wieder anzetteln.
Erst in der Zeitung „Jerusalem Post“ findet man eine komplette Darstellung als ein zugegeben kaum lesbares Puzzle aus mehreren Meldungen vor Ort:
„Elite-Einheiten „Egoz“ haben einen Kommandeur vom „Islamischen Dschihad“ im Gazastreifen in der Nacht auf Dienstag getötet. Wie Radio Israel berichtete, war er nach Angaben der Armee einer der Terroristenführer in der Gaza-Stadt. Darüber hinaus wurden drei bewaffnete Palästinenser in den Kämpfen mit IDF-Truppen im Zentrum von Gaza nach palästinensischen Angaben getötet. Augenzeugen sagten, dass etwa 25 gepanzerten Fahrzeuge in Gaza durch den Übergang Kissufim eintraten. Die Soldaten verhafteten zwei Terroristen vom „Islamischen Dschihad“ und zogen sich nach zwei Stunden zurück, sagten sie. Vertreter des Verteidigungsministeriums sagten, dass das direkte Ziel der präzis geplanten Operation in Chan Junis Terroristen waren. Die IDF bestätigte, dass die Operation beendet ist. Die Augenzeugen sagten, dass während der Auseinandersetzung IDF-Panzer Granaten feuerten und Hubschrauber mit Raketen angriffen. Offizielle Vertreter der palästinensischen Medizin sagten, ein ein Monat altes Mädchen wurde dabei von einem Querschläger getötet. Auch acht bewaffnete Männer und drei Zivilisten wurden leicht verwundet, sagten sie.“
Dank dieser sperrigen Information kann man endlich erkennen, dass dies eine so genannte gezielte Operation war. Einer der lokalen Führer des „Islamischen Dschihad“ sollte verhaftet werden, während der Schießerei kam er ums Leben, seine Wachleute wurden leicht verletzt. Dabei kam es auch zu dem schrecklichen Zwischenfall, bei dem das Kind starb.
Drei verschiedene Darstellungen, wie kommen Journalisten selbst damit klar? Der Redakteur war verblüffend offen: „Unsere Mitarbeiter haben keine Zeit, eine Meldung zu Ende zu lesen“. So sind die drei zitierten Zeilen der Pressemeldung zum Knüller geworden. Weder der Rest noch die Zusammenhänge, weder Sinn noch Auswirkung interessierten jemanden. Das ist der Medienalltag. Im Klartext: Kein Journalist stolpert darüber, wenn die „Agence France-Presse“ auf einer markanten Stelle ein Baby von einem israelischen Soldaten direkt töten lässt. Dies anzunehmen bzw. dem zu glauben ist so selbstverständlich geworden, dass die Wahrheitsprüfung dieses absurden Satzes nicht stattfindet.
Die Nachfrage bei der AFP ergab mehr. In deren schriftlicher Antwort steht: „Im Gegensatz zu der von Ihnen zitierten Berichterstattung in der "Jerusalem Post" berichteten unsere Quellen vor Ort - Krankenhausmitarbeiter im Süden des Gazastreifens -, das Baby sei von israelischen Soldaten bei einem Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern erschossen worden; von einem Querschläger war dabei nicht die Rede. (…) Die von Ihnen beanstandete Textstelle stammt aus einer Zusammenfassung vom 5. März, in der die Information vom Vorabend nur noch kurz in zwei Sätzen erwähnt wird. In diesem Fall wurde allerdings entgegen den Gepflogenheiten die Quelle nicht mehr genannt und eine Unschärfe in der Formulierung eingebaut, was wir bedauern.“
Na, dann ist alles gut. Wenn Israelis in jedem Satz ihre Quellen benennen, ist das nichts. Wenn die AFP keine Quellen nennt und dabei „eine Unschärfe einbaut“, dann ist dies nur zu „bedauern“. Ich bedauere die Millionen Leser, die auf die Weise zu Opfern des medialen Kriegs werden.
19. Juni 2008
Auf den Spuren von der AFP
Noch eine kleine Story über die propagandistische Einseitigkeit der Medien. Sie wurde im April-Heft der "Jüdischen Zeitung" 2008 abgedruckt.
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