5. Oktober 2008

Palästinisierung des Kaukasus

Die Ursprünge des russisch-georgischen Krieges liegen für die meisten Medienrezipienten im Dunkeln. Beobachtungen von wenigen unabhängigen Journalisten und Experten werden kaum zitiert. Nach einer ausgiebigen Recherche bin ich zu der Klarheit gekommen, die einen nicht unbedingt glücklich macht (Jüdische Zeitung, Oktober 2008).

Der Kaukasus liegt im Nahen Osten

Was passierte im Kaukasus – war das ein Krieg? Und was hat das alles mit Israel zu tun, mit jüdischen Belangen?

Alle Welt ist sich einig: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili begann den Krieg. Warum erteilte er ausgerechnet am späten 7. August den Befehl, erst 20 Minuten nach der doch bitteschön unglaubwürdigen Nachricht vom Eindringen russischer Panzer? Ist er vielleicht nur ein dummer Krawattenfresser, wie die BBC ihn dargestellt hat? Sein Angriffsbefehl erklang zur denkbar ungünstigsten Zeit, gegen den Rat seiner Generäle, mit katastrophalen Folgen für sein Image und für sein Land.

Die Analyse der Fakten legt andere Schlussfolgerungen nah. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo drohte Russlands politische Führung dem Westen direkt mit einer symmetrischen Antwort. Die heiße Phase der Verhandlungen zwischen Georgien und der NATO über den Beitritt Georgiens war für den Herbst 2008 geplant. Der schon 2001 zum Präsidenten Südossetiens gewählte Eduard Kokoity, vormals bekannt als langjähriger Türsteher in einem Moskauer Casino und Komsomolsekretär in Personalunion, baute bis 2006 ein autoritäres und korruptes Regime mit engsten Beziehungen sowohl zum russischen Geheimdienst als auch zur organisierten Kriminalität auf. Sein Ziel – die Vereinigung mit Nordossetien – hat er schon 2003 formuliert. Über dem georgischen Hoheitsgebiet schoss die russische Luftwaffe am 20. April 2006 eine unbemannte Drohne ab. Vier Vertreter des russischen Armeegeheimdienstes wurden 2006 bei der Vorbereitung terroristischer Aktivitäten gefasst. Ein russischer Bomber verlor beim Überfliegen des georgischen Inlandes 2007 seine tödliche Ladung. 2006 wurde nördlich von Zchinwali bei absoluter Geheimhaltung der massive russische Stützpunkt Dschava gebaut, mit einer Kapazität von bis zu 2500 Soldaten und Panzerversorgung. Im Frühling 2008 legte das russische Militär in Abchasien neue Eisenbahnlinien, die militärischen Anforderungen entsprechen und im Krieg auch eingesetzt wurden. Allerdings errichtete man in Zchinwali und um die Stadt herum keine Verteidigungsbefestigungen. Mehrere Tausende Bewohner Zchinwalis wurden vom 2. August an offiziell zur Evakuierung gebeten, etwa 90% leisteten dem auch Folge. Am nächsten Tag rief Kokoity die Mobilisierung der freiwilligen Kräfte im Nordkaukasus aus, die nach Südossetien kamen und im Laufe des Kriegs georgische Dörfer und Städte marodierten. Der massive Beschuss georgischer Dörfer um Zchinwali begann am 29. Juli. Am 6. August wurde dabei auch die Großkaliberartillerie eingesetzt, was de facto schon den Krieg von ossetischer Seite bedeutete. Alle diese Dörfer wurden im weiteren Verlauf des Krieges durch paramilitärische ossetische Einheiten von der georgischen Bevölkerung komplett gesäubert. Bis zum 6. August stellte sich eine bis zu 25.000 Mann starke russische Armee an den Grenzen Südossetiens (Rokitunnel) in voller Bereitschaft auf. Etliche russische Journalisten kamen am 6. August nach Zchinwali mit einem Flugzeug. Am 7. August zeigten sich die ersten russischen Einheiten am anderen Ende des Rokitunnels, schon auf südossetischem Gebiet und in großer Zahl, was Saakaschwili als eine unmittelbar bevorstehende Invasion eingestuft hat. Als georgische Kräfte Zchinwali erreichten, fanden sie die Stadt fast leer vor, der Kampf wurde zwischen georgischen und russischen Spezialeinheiten geführt. Zerstörungen durch den georgischen Beschuss kommen in der Stadt Zchinwali an die Marke von 5 % heran, in den umliegenden georgischen Dörfern durch den russischen Beschuss 70 %. Die Zahl der Opfer in Zchinwali beträgt nicht 2000 oder 1600, wie die südossetische und russische Regierung am zweiten Tag der Kriegshandlungen übermittelte, sondern 134. Die russische Luftwaffe hat Zchinwali bombardiert, die georgischen Kräfte zogen sich zurück, es folgte die russische Invasion wie aus dem Buche – alle wichtigen militärischen Ziele im georgischen Kernland wurden ausgeschaltet, Knotenpunkte besetzt.

Der Plan lässt sich aufgrund der aufgelisteten Fakten rekonstruieren: Alle Staatschefs sind bei der Olympiade in China, eine Speznastruppe soll Saakaschwili entmachten und eine neue Regierung (wie seinerzeit in Afghanistan) installieren, die Armee besetzt Georgien zur Befriedung. Der Präventivschlag der Georgier hat diesen Plan verhindert: Saakaschwili blieb in Tbilisi, die Speznas wurde in Zchinwali aufgefangen und vernichtet, die russische Armee hat zwei Tage unter Beschuss verloren, sie musste den verwundeten kommandierenden General austauschen und hat ihren Vormarsch nach Tbilisi erst durch die mahnenden Worte der Amerikaner gestoppt.

Die Reste des Sowjetimperiums bluten weiter. Russen und Georgier haben eine gemeinsame grausame Vergangenheit und agieren in ihrem Schatten. Die erste georgische Führung hat im Rausch ihrer gewonnenen Selbständigkeit Abchasen und Osseten so stark vergrellt, dass es für sie keinen Weg zurück mehr geben kann. Nord- und Südossetien sind auf dem besten Wege zusammenzukommen und den nordkaukasischen Kriegsherd zu vervollständigen – für Georgien schmerzlich, aber immer noch besser als kompletter Verlust der Unabhängigkeit.

Die russische Medienkampagne war erfolgreich – die Darstellung des georgischen Präventivschlags als ungezügelte Aggression sitzt fest. Ein Beispiel: Der erst kürzlich ausgetauschte stellvertretende Generalstabschef Nogowizin zeigte auf seiner Pressekonferenz den angeblich in Zchinwali eroberten amerikanischen Pass und führte das als entscheidenden Beweis für die direkte Beteiligung der USA im Konflikt an. Am nächsten Tage hat die amerikanische Presse diese Nachricht als schlecht fabrizierte Ente entlarvt: Dem Passinhaber Michael Lee White kam der Pass 2005 in Moskau abhanden, im August 2008 war er selbst nachweislich in den USA und China. Dagegen weiß kaum einer, dass die über Georgien abgeschossenen russischen Piloten schon drei Tage vor dem Kriegsbeginn in die Region abbestellt wurden, laut den bei ihnen gefundenen Papieren.
Wenn wir noch zahlreiche Artikel einbeziehen würden, die die Rolle Israels bei der Vorbereitung georgischer Streitkräfte betonen, so sollten wir gleich mitberücksichtigen, wer die „Unabhängigkeit“ zweier neuer Staaten zuerst anerkannt hat – das sind die Hamas und die Hisbollah. Erst wenn man das zusammenbringt, begreift man, dass sich die Anwendung terroristischer Methoden, die Ausrichtung auf die Wirtschaft mit dem Tod, Lügen als Medienpolitik hier wie dort aus derselben Quelle speisen, aus der Schule des KGB. Es ist eine schleichende Palästinisierung Ossetiens, wie eine russische Journalistin sich ausgedrückt hat.

Eine neue Nachricht aus Russland komplettiert das Bild – Iran bekommt die modernste Luftverteidigung, die für Israel und die USA die eventuell geplante Bombardierung der iranischen Atomwaffenanlagen verunmöglichen soll. So bekommt der russisch-georgische Krieg eine neue Dimension, über die man lieber nachdenken sollte, bevor man ihn ad acta legt.

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