28. Dezember 2008

Gilbert Kaplan und die Zweite Symphonie Mahlers

In der US-amerikanischen Musikszene spielt sich ein bemerkenswerter Skandal ab. Gilbert Kaplan, ein musikbegeisterter Millionär mit einer Vorliebe für die Auferstehungssymphonie, hat diese schon wieder dirigiert. Das tut er schon seit 26 Jahren, inzwischen bezahlte er sich schon 50 mal dieses Vergnügen und durfte sie sogar zweimal aufnehmen.

Diesmal mussten am 8.12.2008 die New Yorker Philharmoniker leiden, allerdings diente das alles zwei guten Zwecken - einmal als Jubiläum der amerikanischen Erstaufführung durch Gustav Mahler selbst und zweitens für die Rentenkasse des Orchesters. Dutzende Orchester haben sein Dirigat über sich ergehen lassen und geschwiegen. Das Geld brauchen sie alle. Diesmal hat es Krach gegeben. Der zweite Posaunist des Orchesters hat in einem eigens dafür aufgemachten Weblog die Unfähigkeit des selbsternannten Mahlerpropheten am 16.12.2008 angeprangert. Am nächsten Tag übernahm die New York Times. Sofort kam dem guten Freund Mr. Kaplan der bekannte Kritiker Mr. Lebrecht zur Hilfe. In verschiedenen Blogs sind inzwischen mehrere Hunderte von Kommentaren erschienen. Spannende Lektüre!

Zur Sache selbst: Kaplans Aufnahmen bezeugen zum xten Mal, dass erstklassige Orchester auch ohne einen Dirigenten einigermaßen zusammen spielen können. Er bringt durch seine Probenarbeit manche Details zum Klingen, die interessant und als Ergänzung zum Partiturlesen dienlich sind. Das Resultat ist leider vollkommen uninspiriert und entspricht der gängigen Art, die Musik dem Text entlang, handwerklich genau darzubieten. Das ist schon schlimm genug, wenn uns das von professionellen Dirigenten angetan wird. Jetzt kommt das noch von Seiten der zahlenden Amateure. Armes Publikum, das dazu noch von Musikkritikern im Dienste der Industrie zum Narren gehalten wird.

Andererseits ist es nun mal so, dass Orchester kaum überlebensfähig sind und solche Mäzene gut gebrauchen können. Wäre Kaplan bescheiden genug, um seine Position als zahlender Amateur nicht zu verlassen und sich nicht zu viel aufzuspielen, hätte es auch den Zwischenfall nicht gegeben.

Danny Kaye hat mit dem selben Orchester im Jahre 1981 eine köstliche künstlerische Präsentation abgegeben. Seit neuestem ist sie auch über Youtube zu geniessen:



Mahlers Zweite hat etwas Besseres verdient.

Lektüre und Links:

Der Artikel von David Finlayson (Link), mit dem die Story begann (mit 185 Kommentaren und weiteren Postings zum selben Thema); der Artikel von Daniel J. Wakin in der "New York Times" (Link); zwei Artikel von Norman Lebrecht, dem Musikkritiker (Link und Link), der dem Posaunisten empfohlen hat, die Klappe zu halten; vernichtende Äußerungen anderer Orchestermusiker (Link - siehe Kommentare!), die vor dem Auftritt des Posaunisten geschrieben worden sind; die genauso negative Aussage eines anderen Orchestermusikers (Link); Unterstützung für den Posaunisten von einem wiederum anderen Orchestermusiker (Link); eine Diskussion zum Thema zwischen den Orchestermusikern noch einmal anders (Link), die Meinung eines dirigierenden Musikers (Link).

In vielen Kommentaren bringen Kollegen ihre Empörung zum Ausdruck, dass das Niveau so nach unten gefallen ist, dass nicht einmal die Kritik bereit ist, zwischen den großen Dirigenten und Imitatoren zu unterscheiden. Die Namen der zweiten Art werden auch genannt - darunter Maris Jansons, Daniel Harding, Gustavo Dudamel.

Warum nur hat die deutsche Presse bis dato das Thema für sich noch nicht entdeckt?