Nach der Diskussion glaube ich, dass Unterstellungen, die davor gesät wurden, fehl am Platze sind. Ralf Altenhof, Leiter der Bremer Abteilung, hat für das Thema vier Diskutanten gefunden, jeder von uns hat eine klare Meinung mitgebracht und trat gegeneinander mit Argumenten vor. Ich glaube, eine Diskussion dieser Art bringt auch etwas. Es soll nicht gleich eine Demo sein, oder anders formuliert, neben einer Blokadetaktik soll man auch diskutieren, warum man immer wieder dort landet, wo man angefangen hat, warum Demonstrationen und Blokaden weiter aufeinander folgen.
Es ist immer dasselbe, in den Diskussionen zum Thema sind sich alle schnell klar: Die NPD ist rechtsextrem, antidemokratisch, verfassungswidrig, das weiß jeder. Nicht so klar ist es mit der Frage nach dem Verbot, und sie wird immer wieder gestellt. Dabei wähnt sich jede Seite im Besitz der Mehrheitsmeinung. Das soll heißen, wer für das Verbot der NPD auftritt, meint, hinter ihm stehe die überwiegende Mehrheit. Ein Gegner des Verbots ist sich dagegen sicher, dass es kaum möglich ist, eine von seiner abweichende Meinung zu vertreten. Die Argumente pro et contra sind seit langem bekannt, die Positionen festgefahren. Wozu überhaupt diskutieren?
Es ist viel mehr ein (zweifelhafter) intellektueller Genuss, miteinander zu streiten, nach neuen Argumenten zu suchen, die ihrerseits nach den sofort folgenden Widerlegungen wieder weiter geschärft werden können. Der Motor ist hier offensichtlich der eigens aus Chemnitz eingeladene Eckhard Jesse, dessen Extremismus-Theorie bei der Bundesregierung so gut ankommt. Er kennt sich in der Materie gut aus, weiß mit dem Auditorium umzugehen, weiß, welche Argumente wann aufzufahren sind.
In Bremen hat er kein Wort über seine Extremismus-Theorie verloren und bot kaum Flanke für die Auseinandersetzung damit (aktuelle lesenwerte Beiträge dazu siehe hier und hier). Er sei sogar mit den üblichen und bekannten Argumenten für das Verbot einverstanden und habe nichts dagegen, er sei auch für die „streitbare Demokratie“ und prinzipiell auch für das Instrument „Parteiverbot“. Er wolle aber neue Argumente gerade in die Debatte einbringen, die viel überzeugender seien: Liberalität und Effizienz. In etwa:
Wir leben in einer freien Gesellschaft, das ist doch keine „Schön-Wetter-Demokratie“ mehr. Man soll den Ideologen der NPD nicht glauben, wenn diese behaupten, sie seien stark. Nein, sie sind ganz schwach. Nach Gesprächen mit Horst Mahler ist Jesse davon überzeugt, mehr als je. Wir sollten deswegen keine Jakobiner mehr sein und unsere Intoleranz zügeln: Die NPD wäre demzufolge zu ertragen.
Außerdem werde durch jegliches Verbot einer rechtsextremen Organisation das aggressive Potenzial freigesetzt. Aus den verbotenen Gruppen kommt ein Zulauf, der radikaler, gewalttätiger ist, was der NPD-Kader auf keinen Fall vertreten wolle. Hier setzte auch Wilhelm Hinners (CDU Bremen) ein, der von 30.000 militanten Rechtsextremen sprach, von denen er nicht weiß, wie man sie von der Straße wegbekommt. Hinners zitierte hier auch Uwe Barkes - über die Schwierigkeit, militante Schichten zu erreichen.
Das sind „neue“ Argumente. Einerseits sind wir so freidemokratisch und liberal, dass wir alles erdulden können. Andererseits kümmern wir uns um die Effizienz und wollen es vermeiden, dass 30000 Militante auf einmal auf der Straße stehen.
Aus meiner Sicht halten diese Argumente nicht durch: Sie schließen einander vielmehr aus. Entweder haben wir eine starke gefestigte Demokratie, ohne geschichtliche Lasten, ohne Leichen im Keller sozusagen, und dann brauchen wir keine Angst vor 6500 angekündigten Rechtsextremen in Dresden am 13.2.2010 zu haben. Oder wir machen uns Sorgen um eine vergleichsweise junge Demokratie und haben Angst vor gewalttätigen Rechtsextremen auf der Straße. Das Eine schließt das Andere aus.
Ich bin mir sicher, beim nächsten Auftritt wird Eckhard Jesse neue Argumente aufrollen. Ich ordne die Extremismus-Theorie dem Spektrum der neurechten Ideologie zu und bedauere es sehr, dass es in der Diskussion unmöglich war, darauf einzugehen.
Unterm Strich wurde mir sehr deutlich, dass die wichtigsten Argumente für das NPD-Verbot sehr schnell vom Tisch geräumt werden. Viel zu schnell.
Ich benenne hier nur zwei, die in den Medien auffallend wenig präsent sind.
1. Die NPD erhält die staatlichen Subventionen. Pastor Friedrich Scherrer zitierte vom Podium, dass sie allein in Jahren 2002 bis 2007 4,7 Mio Euro kassierte. Meine Ergänzung dazu: Die NPD Thüringen weiß 2009 ganz genau:
„Ab dem nächsten Jahr wird die NPD mehr als doppelt so hohe Einnahmen aus der staatlichen Parteifinanzierung erhalten wie bisher“.
Das darf in der deutschen Demokratie nicht sein.
2. Der sogenannte Verfahrensfehler, warum der Prozess gegen die NPD nicht stattfinden durfte, ist ein Missverständnis (oder ein Betrug der Öffentlichkeit, je nachdem wie man das nimmt). Die V-Leute, die ausgemacht wurden, sind keine agents provocateurs oder Doppelagenten, sondern NPD-Kaderleute, die hin und wieder beim Verfassungsschutz für einen kleinen Obolus plaudern. Dass die Richter es nicht verstehen wollten oder konnten, ist kein gutes Zeichen für unsere Demokratie.
Ich möchte nun noch am Rande erwähnen, dass Ralf Altenhof die Diskussion gut moderiert hat, was angesichts der Publikation in der TAZ kein leichtes Unternehmen war und weil er selbst eine klare Meinung dazu hat, die der von Hinners und Jesse nahe kommt. Ehrlich gesagt, habe ich nach dieser unfreiwilligen TAZ-Werbung mehr Publikum erwartet. Hier gilt wiederum, was ich schon zu Anfang meinte: Das Thema ist alt und Meinungen sind fest. Es ist bitter, dass es bei Gesprächen wie dieser Diskussion bleibt. Es trägt zur Politikverdrossenheit bei. Das sehe ich als Zeichen der strukturellen Schwäche unserer Demokratie und bleibe bei der Forderung, die NPD zu verbieten.
UPDATE: Eine Fotoserie von Peter Jülich, passend zum Thema.