3. Februar 2007

Gesunder Patriotismus

Zu dem Begriff läuft eine mehr oder wenige müde Diskussion. Mein Beitrag dazu stellt den Begriff ganz in Frage. Die Jüdische Zeitung hat den Text ohne Änderungen abgedruckt:

Befragungskünstler

Ich möchte so gerne die Fremdenfeindlichkeit bekämpfen. Man erzählt von so vielen Vorkommnissen - schlimm! Dann kommen Politiker und prüfen Einzelfälle eingehend auf Anzeichen unwissenschaftlicher Verallgemeinerung. Die Öffentlichkeit soll sich beruhigen: „Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.“ (Wolfgang Schäuble, Innenminister)

Was soll ich bitte tun? Na klar, werde ich belehrt: Einen gesunden Patriotismus entwickeln. Dazu greift man einen Demoskopen und legt ihn wie ein Stethoskop an die Brust der Nation. Wenn die Befragungsresultate vorliegen, kann man sich über den Befund beschweren.

Wilhelms Heitmeyers Untersuchung läuft seit 2002: „Fremdenfeindlichkeit drückt sich unter anderem darin aus, dass 59,4% der Befragten in 2006 der Auffassung sind, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. Zudem, so die Auffassung von 35,3%, sollen Ausländer zurückgeschickt werden, wenn die Arbeitsplätze knapp werden.“

Eine Studie von Klaus Schroeder erschien 2003: Jeder Fünfte der befragten Jugendlichen zeige „eine strikte ausländerfeindliche Einstellung“, davon mehr als jeder Dritte „überdurchschnittlich oft auch“ „eine antisemitische Grundhaltung“ und knapp 30 % „ein NS-nahes Geschichtsbild“.

Weil die Differenz so auffallend ist, greift Schroeder Heitmeyer an: „Der hohe Anteil vermeintlich fremdenfeindlich Gesinnter ergibt sich aus der Zustimmung zu dem Satz „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“. Knapp 60% der Befragten stimmen dieser Einschätzung mehr oder weniger zu. Doch ist es angesichts beträchtlicher Integrationsprobleme nicht legitim, dieser Meinung zu sein? (…) Selbst die Befürwortung der Forderung, Ausländer sollten in ihre Heimat zurückkehren, wenn Arbeitsplätze knapp werden, ist nicht unbedingt Ausdruck von Feindschaft gegenüber Ausländern, sondern drückt eher die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz aus.“ Der vergessliche Kritiker schrieb in seinem Buch: „Nur etwa jeder Zweite scheint immunisiert gegenüber einem rechtsextremistischen Weltbild.“ Heitmeyer dagegen darf das nicht sagen.

Forschungsinstitute führen solche Umfragen seit Jahrzehnten durch – mit Aussagen wie „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ Oder: „Würden Sie sagen, dass Sie - sehr stolz, ziemlich stolz, nicht sehr stolz oder überhaupt nicht stolz darauf sind, ein(e) Deutsche(r) zu sein?“

Jürgen R. Winkler folgerte daraus 2003: „Je größer der Nationalstolz ist, je weiter rechts sich Befragte einstufen und je stärker Individuen autoritäre Werte bekräftigen, desto negativer ist ihre Einstellung zu Fremden. (…) Die höchsten Werte auf der Skala „Fremdenfeindlichkeit" erreichen hier Franzosen, die sich auf der Ideologieskala weit rechts einordnen. Ihnen folgen weit rechts stehende Belgier, Deutsche, Österreicher und Dänen sowie Belgier, Deutsche und Franzosen mit einem stark ausgeprägten Nationalstolz und Belgier und Franzosen mit einer sehr autoritären Wertorientierung.“

Heitmeyer darüber: „Die Auswertung der Daten unserer Längsschnittstudie von 2002 und 2006 zeigt (…): Je höher die Identifikation mit Deutschland und je größer der Stolz auf die eigene Gruppe, desto stärker werden Fremdgruppen abgewertet.“ Genauso meinen Autoren der IPOS-Studie 2004: 45% der Jugendlichen, „die stolz darauf sind, Deutsche zu sein, reden von Überfremdungsgefahr.“ Dazu allerdings ein verblüffender Kommentar: Weil 52% der Befragten Ausländer für eine kulturelle Bereicherung hält, atmet das Institut auf, das sei „ein klares Votum“!

Angesichts der Geschichte solcher Begriffe wie „Leitkultur“ und Slogans wie „Kinder statt Inder“ oder des vieldiskutierten Einbürgerungsfragebogens würde ich mir überlegen, ob nicht auch der „gesunde Patriotismus“ der Gefahr ausgesetzt ist, mit dem „nationalen Stolz“ mehr als nur verwechselt zu werden. Sollten wir uns lieber um den Umgang der Mehrheit mit Minderheiten sorgen? Oder gar um das soziale Klima? Denn Befragungskünstler alleine können das weder verantworten noch lösen.

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