Es ist immer spannend zu beobachten, welche Skandale von deutschen Medien aufgenommen und hochgespielt werden, welche nicht. Berlusconi hat mit einer Frau geflirtet – wochenlang wird diese Überraschung mit voller Begeisterung ausgeschlachtet. Schröder hat einen lukrativen Aufsichtsratposten bei einer Gaspipelinegesellschaft übernommen, mit Gazprom im Vordergrund. Die Hälfte der Presse meldet sich mit süffisantem Unterton zu Wort und tut das dezent immer mal wieder, damit die SPD-Umfragewerte nicht erneut steigen.
Der ehemalige USA-Präsident Jimmy Carter hat sein 21stes Buch geschrieben. Seine Aussage: „In mancherlei Hinsicht erleiden Palästinenser in der Westbank mehr Unterdrückung als die Schwarzen in Südafrika während der Apartheid”. Anstatt dies zu akzeptieren, „schlage sich das jüdische Interpretationsdogma allein darin nieder, dass alle wichtigen amerikanischen Zeitungen das Buch entweder ignoriert oder aber verrissen hätten - von jüdischen Kritikern oder Lobbyisten“. Wie sind die Reaktionen? Eine Welle der Empörung weltweit, Jubel und Trubel beim Islamischen Dschihad. Deutsche Zeitungen dagegen beruhigen ihre Leser. Zur Not mit den beschwörenden rhetorischen Übungen von Uri Avnery. Die mutigeren Redaktionen mit der eigenen Diagnose, der Friedensnobelpreisträger wolle ja "nur Fakten präsentieren." Die „Süddeutsche“ geht noch weiter: „Die diffuse Anklage Carters gegen die jüdische Meinungslobby in Washington gewinnt damit eher an realer Bedeutung. (…) Carter in die antisemitische Ecke zu stellen, spielt denen in die Hände, die immer noch einer jüdischen Weltverschwörungstheorie anhängen.“
„Die Welt“ geht die Sache feiner, rührend menschlich an: „"Man hat mich einen Lügner geschimpft", sagte [Carter] kürzlich in einer Rede vor den überwiegend jüdischen Studenten der Brandeis University in Boston, "einen Heuchler, einen Antisemiten, einen Plagiator und einen Feigling." Die persönlichen Attacken hätten ihn "sehr verletzt", bemerkte Carter. (…) Rabbi Marvin Hier, Gründer und Vorsitzender des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, befand, Carter habe "ein Buch geschrieben, das vom Titel bis zum Inhalt unverhohlen einseitig ist und eines ehemaligen Präsidenten unwürdig". Und der ehemalige Vizepräsident Walter Mondale, der als proisraelisch gilt und Jimmy Carter freundschaftlich verbunden ist, bemerkte, es gebe "sehr viel gutes Material in dem Buch. Aber ich habe hier und da doch ein paar Probleme." Vielleicht tröstet es Jimmy Carter, dass sein Buch seit neun Wochen auf der Bestsellerliste der "New York Times" steht - derzeit auf Platz fünf.“
Dutzende Widerlegungen, die falsche Behauptungen in Carters Buch minutiös aufdecken, darunter brillante wie von Alan Dershowitz und Kenneth W. Stein, werden mit einem leicht gönnerhaften Kopfnicken abgetan. Das Thema abgeschlossen, in Wirklichkeit ausgetauscht – den Medien geht es nicht um die Inhalte, sondern darum, dass Carter weder ein Antisemit noch ein Idiot sei.
Und was ist dran am Vorwurf des Antisemismus? Aaron Klein, den deutsche Leser inzwischen als Autor des Buches „Die Rächer“ kennen (neben welchem der Film „Munich“ von Spielberg als historisch unwahre Fantasie im Regen steht), publiziert am 25. Januar ein Interview mit Monroe Freedman, dem ehemaligen Direktor des Holocaust Memorial Council. Das Komitee wurde von Carters Administration erschaffen, um das Holocaust Museum in Washington zu gründen, Freedman von Elie Wiesel dafür 1980 engagiert. Wiesel stellte die Liste der Mitglieder für das geplante Komitee zusammen und schickte sie an das White House, Freedman bekam das Papier mit dem eigenhändigen Vermerk Carters zurück: „Too many Jews“. Infolgedessen wurde ein Name gestrichen - der eines Holocaustforschers, welcher für Carter jüdisch klang. Der Hinweis darauf, dass ausgerechnet dieser ein Presbyterianer sei, hat nicht geholfen. Freedman machte aus diesem Eklat nie ein Geheimnis, nur interessierte sich dafür keiner, bis Klein auf ihn zukam.
Kein Kommentar von Carter, genauso wenig von seinen Beratern. Deutsche Zeitungen berichten darüber gar nicht, kein Wort, nicht einmal deutsche Blogger tragen die Nachricht weiter. Warum nur?
3. März 2007
Zu viele Juden
Bevor ich den folgenden Artikel an die "Jüdische Zeitung" abgab, prüfte ich mehrfach, ob jemand von deutschsprachigen Autoren oder Bloggern das Thema angesprochen hatte. Bis jetzt keiner. Ich verstehe das nicht. Der Artikel erschien März 2007.
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