Ratlose Nestbeschmutzung
Einige von uns stellen erstaunt fest, der Antisemitismus verbreite sich schon wieder – sogar exponentiell. Von Prominenten – bekannt als Gewissen der Nation – hören wir dazu nichts. Politiker dagegen sind politisch korrekt und empörungswillig, wenn gerade eine Kamera läuft. Führt das Schweigen der einen wie das Gerede der zweiten zu irgendwelchen Taten?
Der einzige Bericht über aktuelle und geplante Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt kam 2002, trotz des Widerstandes seitens der CDU/CSU-Fraktion (diese könne ja nicht das unterstützen, was die PDS begrüßt). Weil er offensichtlich zu wenig gelobt wurde, bot die Regierung keinen weiteren an. Die Öffentlichkeit hat es hingenommen, weil sie die aktuelle Regierung seit je für die bestmögliche hält. Nur einer hat sich mehr gewünscht: Arno Lustiger. Er schrieb alle Bundestagsabgeordnete an und forderte einen alljährlichen Bericht der Regierung zur Antisemitismusbekämpfung. Seine Anfrage wurde erfolgreich totgeschwiegen. So folgte im Juni 2007 die nächste Petition an die Regierung, verabschiedet von der Koordinierungskonferenz deutscher NGOs „Gegen Antisemitismus in Deutschland und Europa“. Eine durchaus gute, viel versprechende Sache: Die Nachricht darüber wurde in einem Internetportal sogar von zwei (!) Nutzern gelesen.
Angesichts dieses medialen Nachhalls möchte ich die Idee des Berichts mit zwei Kommentaren ausdrücklich befürworten.
Erstens: Die Koordinatoren schämen sich für den Antisemitismus «in diesem unserem Lande» und wissen im Voraus, dass sie dafür von hohen Beamten aus der Außen- und Innenpolitik zu Nestbeschmutzern ernannt werden. Um dem Diffamierungsvorwurf zuvorzukommen, wurden Vertreter aller Bundestagsfraktionen ins Centrum Judaicum eingeladen und obendrein eine Bundestagsvizepräsidentin. Sie erzählten einander brav: Juden «waren und sind der Test für die deutsche Demokratie. […] Ging man gut mit den Juden um, dann sah es gut aus mit der Demokratie in Nachkriegsdeutschland» (Paul Spiegel im Jahr 2002). Dies steht im mahnenden Grußwort des israelischen Botschafters. Bei allem Respekt: Ich würde ein anderes Zitat für passender erachten: «Die Folgen des Antisemitismus sind wesentlich fataler für die gesamte deutsche Gesellschaft als für die Juden» (Paul Spiegel im Jahr 2003). Und wenn einige Teilnehmer der Konferenz darauf mit gebührendem Pathos selbst gekommen sind, fragt man sich, warum muss man einander das immer wieder neu erzählen?
Zweitens: In ihrem Grußwort erzählte Petra Pau von ihrem Unbehagen nach einem antisemitischen Angriff auf eine Kindertagesstätte: «Als wir uns danach in der Synagoge zum solidarischen Gebet sammelten, fragte ein Rabbiner: „Wie soll ich das den Kindern erklären?“ Ich habe den Umgang mit Kindern erlernt, studiert und als Lehrerin praktiziert. Aber auf diese einfache Frage habe auch ich keine Antwort. Ich war ratlos.»
Mich wundert es nicht, wenn ein Rabbiner diese Frage nicht beantworten kann. Dass aber eine der prominentesten Politikerinnen Deutschlands derart ratlos ist? Wenn von solchen «Stützen der Gesellschaft» wie Innen- und Außenministerium, wie gesagt, ein «Nestbeschmutzung»-Ruf erwartet wird und von der Spitze des Bundestages eine «Ratlos»-Antwort kommt, ist das nicht etwas zu schwach, an entscheidenden staatlichen Stellen?
Wie wäre es mit etwas mehr Zivilcourage? Nicht nur bei den anderen anmahnen und einfordern? Wenn die Politiker - jeder in seiner Partei, in seinem Gremium, - die eigenen Möllemanns direkt zurückweisen würden, anstatt diese Aufgabe den NGOs zu übertragen, wenn sich diese letztgenannten tatsächlich darauf einigen, die unzureichenden Maßnahmen der Regierung und die Missstände bei den Medien zu kritisieren, und dabei noch eine beachtliche Öffentlichkeit erreichen, dann… Dann wird die Regierung sich überlegen, wie sie das alles vermeiden kann, indem sie zum Beispiel auch diese Forderung eines jährlichen Berichts zur Antisemitismusbekämpfung ignoriert. Warum soll sie sich eigentlich selbst verprügeln lassen?
Und wie mit der Kritik umgangen wird, haben die Chefetagen der ARD- und ZDF-Redaktionen unlängst meisterhaft vorgeführt (Stichwort „Mediatenor“). So erklärte auch Wolfgang Schäuble schon 2002 vorbildlich: «Ich bin dafür – darin sind wir uns einig –, dass wir Missstände und Fehlverhalten mit aller Entschiedenheit bekämpfen. Aber ich bin dagegen, dass wir den Eindruck erwecken, dass überall in Deutschland Minderheiten und Ausländer von der Mehrheit der Bevölkerung verfolgt oder diskriminiert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen sage ich noch einmal: Wir sind ein ausländerfreundliches, tolerantes Land und wir wollen es auch in der Zukunft bleiben.»
Wer will da bitteschön noch einen Bericht?
31. Juli 2007
Auf einer Tagung
An einem Juni-Tag fand in Berlin eine Tagung, "Gegen Antisemitismus", statt. Ich war dabei und habe schon wieder einen Grund zu meckern gefunden. Das Resultat kam auf die erste Seite der "Jüdischen Zeitung" im Juli 2007:
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