16. Oktober 2007

Unsere Solidarität mit Sderot

Im Sommer 2007 gab es genug traurige Anlässe über den ununterbrochenen Kassam-Beschuss der israelischen Stadt Sderot zu schreiben, der auch heute tagtäglich weitergeht. Der folgende Artikel ist im August-Heft der "Jüdischen Zeitung" erschienen.


„Seid nicht so traurig!“

Dr. Ruthie Eitan, Dozentin am Sapir-College unweit von Sderot, kam im Juni zu einer Vortragsreise nach Deutschland. Wohlgemerkt auf die Vermittlung der israelischen Botschaft hin. Sie erzählte vom Leiden der Studenten und Mitarbeiter, die unter ständigem Beschuss leben.

Das College liegt 800 Meter vom Gazagebiet entfernt. Seit 2001 brachten mehrere Tausend Raketen in Sderot und auf dem College-Gelände Tod, Verwundung, Zerstörung und verbreiteten die Atmosphäre von Terror. Wenn Warnsirenen ertönen, vergehen 10 bis 15 Sekunden bis zum Einschlag einer Rakete. In dieser Zeit kann man sich von den Fenstern entfernen, nicht aber den Weg in die Schutzräume finden. So leben Menschen nicht Tage, nicht Wochen, nicht Monate, sondern Jahre! Sie können nicht schlafen, reagieren mit Angst auf jegliches Geräusch – und halten zusammen, denken nicht daran, anderswo hinzugehen.

In den ersten fünf Jahren wurde eine Schweigepflicht auferlegt: Der Präsident des College Tsahor hielt es für besser, wenn man sich stoisch zeigt. Nach dem Motto: Die Terroristen können uns nicht bezwingen. Diese Haltung spiegelt sich auch in deutschen Meinungen wider, so stellte zum Beispiel der Friedensforscher Ekkehart Krippendorff fest: „Dass da wohl bisweilen noch eine harmlose handgebaute Rakete niedergeht, bringt niemanden aus der Ruhe“ (2001). Was soll’s? Der soeben zum Präsidenten Israels gewählte Friedensnobelpreisträger Schimon Peres tat die x-te Nachricht von Raketeneinschlägen mit einer himmelschreiend herablassenden Ironie als „Kassam-Schmassam“ ab (2006). Der einzige deutsche Austauschstudent Eckard Sussenburger verstand die Situation vor Ort auch „richtig“: „Meine Freunde zu Hause hatten sicher mehr Angst um mich als ich selbst. Man hat in Sderot außer den Alarmen nicht das Gefühl, im permanenten Ausnahmezustand zu leben. Dabei konnte ich manchmal nachts nicht schlafen, weil die israelische Artillerie nicht weit von meinem Wohnheimfenster nach Gaza hinein gehämmert hat oder Helikopter über den Dächern gerattert haben“ (2007).

Inzwischen erlaubt der Präsident Tsahor über die Raketen und deren Folgen zu sprechen. Die Bewohner der Stadt Sderot und des Sapir-College können über ihr Unglück so viel reden, wie sie wollen: Die Regierung, die breite Öffentlichkeit, die Medien Israels nehmen die alltäglichen Berichte über Einschläge gerne zur Kenntnis. Und rühren sich nicht.

So geht Ruthie Eitan auf ihre Reise und erzählt mit ruhiger Stimme Einzelheiten, die kaum gleichgültig lassen. Wenn die Zuhörer soweit sind, dass sie für eine Weile betroffen schweigen, tröstet sie sie: „Ach, seid doch nicht so traurig!“
Eine Lieblingsfrage ist wie immer dieselbe, ob sie die Palästinenser hassen würde? Ach nein, sagt Frau Eitan, das sind doch einfache Menschen, die den Frieden wollen, was können sie für ihre Politiker. Das Publikum gibt nicht so leicht auf: „Und diejenigen, die Raketen abschießen, herstellen, transportieren? Hassen Sie sie?“ Da ist Ruthie auf einmal aufrecht: „O, diese Frage ist mir neu. Darüber haben wir noch nicht nachgedacht. Das muss ich meinen Kollegen erzählen.“ Sie erklärt - als ob es eine vollkommene Überraschung wäre, - dass alles, was zum Bau der Raketen benötigt wird, aus Israel kommt, inklusive Strom, Wasser, Chemikalien. Dann will sie von weiteren Friedensprojekten erzählen.

So geht der Wahnsinn weiter. Romano Prodi hat Sderot besucht (zur gleichen Zeit als Dr. Eitan Deutschland bereiste) und sagte: „Es ist unmöglich, so zu leben.“ Nicht einmal Franz Kafka oder Roald Dahl hätten das erfinden können, das hat aber die Geschichte schon geschrieben. Und wieder sagen Juden: Seid doch nicht traurig, wir bleiben da, wo wir sind.

Im Grunde genommen ist es eine tragische Frage von biblischer Tiefe. Soll man angesichts des unlösbaren Konflikts das Leben von 7000 zum Teil minderjährigen Studenten schützen oder sie standhafte Helden spielen lassen?

Die deutsche Öffentlichkeit weiß inzwischen über die Lage in Sderot: Der Presseball 2008 will seinen Erlös dem Sapir-College spenden. Juden als Opfer des verlogenen Friedens sind uns willkommen. Dass sie da und so bleiben, das wollen wir unterstützen, klar.


Ruthie, wie geht es euch?

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