2. Mai 2011

Lehrjahre der postmodernen Literatur

Auch ich mag gute Krimis. Es war mir eine Freude, am 24.10.2010 im "Weser Kurier" ein neues Buch dieser Art vorzustellen, und zwar unter dem Titel "Der kriminalistische Bruder von Alice im Wunderland":

Mit seinem ersten Roman macht Jedediah Berry sehr wohl auf sich aufmerksam. Ein lesenswerter Krimi, und nicht nur ein Krimi. Berry ist ein fantasievoller Erzähler, man fühlt sich wie ein gerne träumendes Kind bei einer aufregenden Gutenachtgeschichte. Seine Belesenheit zeigt sich in vielen Affinitäten, die allesamt zueinander passen und gut gemischt sind. Der Held („a bicyclist and an umbrellist Unwin“) trägt einerseits einige sympathische Züge des Autors und ist andererseits gleichermaßen ein verspielter K. unter den dunklen Zwängen der Bürokratie und ein erwachsener Bruder von Alice, der in Wonderland-ähnlichen Abenteuern unerschütterlich den richtigen Weg findet. Das Magische eines Borges und das Spielerische eines Calvino mischen sich mit dem Bizarren eines Dahl und dem Atmosphärischen eines Dürrenmatt, alles unter dem großen Zeichen von Philip K. Dick und mit Dank an Chesterton.

Ist das Resultat eklektisch? Keinesfalls, eher eine Literatur über die Literatur, aber nicht nur dies. Die stimmungsvolle (wenn auch im Vergleich zum Original etwas langatmige) Übersetzung von Judith Schwaab vermittelt ein Gefühl des Mitwissens, des Mitdabeiseins und Mitträumens. Zu den literarischen Allusionen kommen noch viele Comic-Elemente, und von denen ist es nicht mehr weit bis zu der Film-noir-Atmosphäre der Batman-Reihe. Insbesondere die fatale Gegenüberstellung der mächtigen Agentur und der Zirkus-Karneval-Welt ist wiederzuerkennen. Geheimnisvolle Frauen und die markige Figur des Detektivs Travis Sivart (ein Palyndrom!) entstammen nicht nur Chandlers Verfilmungen („The Big Sleep“), sondern auch „Sin City“. Echoes von „8 ½“, „Brazil“, „Matrix“, „The Ghost Dog“ schimmern durch wie auch eine wahrlich unvorhergesehene Nähe zu dem erst in diesem Jahr erschienenen Film „Inception“. Gerade zu Christopher Nolan ist die Verwandtschaft besonders frappierend und zeugt von dem Zugriff der beiden Autoren auf den Zeitgeist. Was ist das Gemeinsame hier, wenn man die zahlreichen Anlehnungen und Ähnlichkeiten beiseite legt?

Eine enorme Angst vor Veränderungen, denen wir uns nicht entziehen können, die Angst, vor der wir nicht einmal in unseren Träumen in Ruhe gelassen werden. Berry lässt uns das wissen: „Irgendwo in den düsteren Winkeln der Nacht wird die Welt zum Trümmerhaufen, und wir vertrauen darauf, dass eine kleine Glocke alles wieder richten kann“. Er gibt die Hoffnung nicht auf und lässt seinen Helden am Ende des Romans verkünden: „Ich habe Angst, aber ich fühle mich auch lebendig und hellwach“. Der Erstling Berrys ist ein viel versprechender Anfang. Der zweite Roman ist in Arbeit und widmet sich „postapokalyptischen Abenteuern einer ‚Alice im Wonderland’“. Vielleicht etwas selbständiger und stringenter? Wir sind gespannt!
Jedediah Berry
Handbuch für Detektive
Verlag C.H. Beck
381 Seiten
19,95 Euro

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