7. November 2009

Zwischen den Zeilen von Hanna Arendt

Schon zweimal stolperte ich über die seltsame Annäherung der Texte von Hanna Arendt an antisemitische Gemeinplätze. Heute sehe ich, dass ich nicht der einzige bin, dem das aufgefallen ist:

The Evil of Banality
Troubling new revelations about Arendt and Heidegger.


Darin analysiert Ron Rosenbaum die aktuelle Literatur zum Thema und geht etwas weiter. Zum Beispiel so:
In a long, carefully documented essay, Wasserstein (who's now at the University of Chicago), cites Arendt's scandalous use of quotes from anti-Semitic and Nazi "authorities" on Jews in her Totalitarianism book.

Wasserstein concludes that her use of these sources was "more than a methodological error: it was symptomatic of a perverse world-view contaminated by over-exposure to the discourse of collective contempt and stigmatization that formed the object of her study"—that object being anti-Semitism. In other words, he contends, Arendt internalized the values of the anti-Semitic literature she read in her study of anti-Semitism, at least to a certain extent.

Für Arendt-Fans und Arendt-Preisträger bestimmt lesenwert.

1. September 2009

Zwei Blicke auf die Zukunft des Internets

Fast zu gleicher Zeit sind zwei Texte zugänglich geworden, die in ihrer Intention so ziemlich gegensätzlich sind. Peter Glaser hat sich über die "Atomisierung" des Informationsflusses im Web gewundert (Link). Marc Cuban hat die sich anbahnende weitere Beschleunigung in der Datenvermittlung bewundert (Link).

Der erste sieht die Lage pessimistisch und mahnt seine Leser, doch etwas dagegen zu tun, da sonst alles zerfalle. Er sammelt in seinem eigenen Blog übrigens jeden Tag Beispiele dieser Atomisierung. Der andere freut sich über die berauschende Beschleunigung und macht auf den Zugewinn aufmerksam, auch wenn seine Kommentatoren darauf hinweisen, dass einiges nicht so ganz neu ist (was die Sache selbst nicht in Frage stellt).

Beide haben etwas beobachtet, was tatsächlich da ist, nur unterschiedlich bewertet, aus unterschiedlicher Perspektive. Menschlich. Man könnte glatt daraus einen philosophischen Artikel kreiieren. Wenn nur die Zeit dafür da wäre...

Hier also nur ganz kurz:
Nicht die Sammlung oder Synthese der digitalisierten Fragmente ist auf der Tagesordnung, denke ich, sondern die Kompensation der enormen Beschleunigung. Wir können mit der Menge der Information umgehen, auch wenn sie so gewaltig ist. Diese zu sortieren, ist zwar schwer, ist aber möglich. Wir tun uns schwer, mit der ständigen und dazu noch schneller werdenden Veränderung unserer Umgebung fertig zu werden. Wenn auf der einen Seite von etwas zu viel ist, soll es möglich sein, auf der anderen Seite Zeit stehen zu lassen, sich zurückziehen zu können. Nur im Ausgleich wäre die Anpassung, weil nach dem Web 2.0 sehr wohl Web 3.0 kommt, das ist nicht zu stoppen.

Noch zu erwähnen wäre hier, dass auf den zweiten Artikel mehrere Kommentare gekommen sind, die zumeist kritisch sind und viel zur Diskussion beitragen. Auf den ersten Artikel kommen nur Twitter-Meldungen, allesamt positiv, obwohl die Position Glasers - zumindest aus meiner Sicht - nicht weniger kritisch zu kommentieren ist.

24. August 2009

Habermas gratuliert Honneth - was haben wir davon?

Etwas böser Titel, nicht wahr? Das werden wir noch sehen...

In der "Zeit" gratuliert Jürgen Habermas seinem jüngeren Kollegen Axel Honneth zum 60.Geburtstag (Link). Besondere Begeisterung gilt dem "Resetting: Honneth tut den historischen Schritt von Marx zu Hegel zurück, um das Programm »von Hegel zu Marx« neu einzustellen." Das ist ja ein heiß zu erwartender Fortschritt! Habermas beschreibt die Erfolge Honneths, die darin bestehen, Grundprinzipien der menschlichen Beziehungen in die philosophische Sprache übersetzt zu haben, wobei die größte Bedeutung der "Anerkennung" gilt.
Am Ende des Artikels stellt Habermas fest:

Es fehlen beispielsweise nicht nur die aufspießenden Begriffe, um die Obszönität der jetzigen Krise anzuzeigen, sondern auch die denunzierenden Worte, um die tonlos eingewöhnten sozialen Verwerfungen blitzartig zu beleuchten.


Ich befürchte meinerseits, dass sich diese kaum auf dem Wege eines "Resetting" finden lassen. Die Philosophie alleine war nie imstande, die Realität "über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu bestimmen, was ihnen wehtut, was mithin als Symptom gesellschaftlich entstellter Verhältnisse gelten kann," wie Habermas im Artikel zugibt. Er betont das sogar noch mehr:

Allerdings hat der Blick auf manifeste Widerstände eine begrenzte Reichweite. An Gesellschaften, in denen halbwegs stabile Verhältnisse herrschen, prallt er ab – auch wenn die soziale Ungleichheit wächst, Armut und Marginalisierung zunehmen, sensible Lebensbereiche den Imperativen des Marktes und der Bürokratie unterworfen werden, die Innenstädte veröden, die staatlich alimentierten Güter verknappen und die Infrastruktur der öffentlichen Meinungsbildung zerfällt.


Der Weg von Hegel führt unweigerlich zu Marx. Das sagt die Geschichte, die wir nicht noch einmal herausfordern sollten. Warum erwähnt Habermas in seinem Programm für Honneth nicht die skeptische Philosophie außerhalb der Frankfurter Schule - die von Odo Marquard?

Sind wir weiterhin im Glasperlenspiel? Erwarten wir von Philosophen die Lösung der gesellschaftlichen Probleme? Haben wir die Wahl zwischen dem Marxismus und der formalen Logik, sonst nichts? Habermas denkt sich manches:

Darin lässt sich auch der riskante Versuch einer formalen Ethik wiedererkennen. Ein neues sozialethisches Vokabular soll den Beschreibungen der komplexen Gegenwartsgesellschaft wieder die kulturkritische Kraft verleihen, die nach Adorno im plappernden Tiefsinn versickert ist.


Träumt er? Was war da zuerst - Begrifflichkeit einer philosophischen Schule oder die Realität? Warum dann nur "Kulturkritk"? Hmm...