21. Dezember 2006

Ideologen, Moralisten, Friedensstifter?

Man könnte Judt zum dritten Mal sagen - die "Jüdische Zeitung" hat den Text übernommen, erschienen im September Heft 2006:
Während der Krieg gegen Israel vorerst stillgelegt wurde, müssen wir uns dem Schwall „israelkritischer“ Publikationen in den Weg stellen. Dies überlässt die deutsche Presse meist so genannten guten Juden, die das sagen dürfen, was ein Antisemit lieber für sich behält. Federführend ist hierin die Süddeutsche Zeitung, die gar zweimal nacheinander einen prominenten guten Juden vorgestellt hat.
Tony Judt ist ein Historiker. Eine seiner Kernaussagen ist das hochmoralische Verdikt über den „anachronistischen“ Staat Israel: „Vor 1967 mag der Staat Israel winzig und umkämpft gewesen sein, aber in der Regel wurde er nicht gehasst – sicherlich nicht im Westen.“
Eine auf Dokumenten basierende Untersuchung würde zu anderen Schlüssen führen. Nämlich, dass Israel auch vor 1967 einseitig kritisch beäugt wird. 1948-1949: Der Weltsicherheitsrat verurteilt den Angriff der arabischen Länder auf Israel nicht. 1956: Die UN verurteilt das Verhalten Israels im Konflikt Syrien-Israel (1962 noch einmal), genauso in den Konflikten Ägypten-Israel (1955), Jordanien-Israel (1961, 1966). 1960: Die Entführung von Eichmann wird als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eingestuft. Noch bedrückender wirken Zahlen der Resolutionen der UN-Generalversammlung zwischen 1947 und 1989: Israel wurde 321 Mal verurteilt, die arabischen Länder kein einziges Mal!
Warum legt Judt die Hass-Schwelle auf 1967 und nicht auf das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft im Jahre 1972 in München? Warum „winzig“, warum „umkämpft“? Schreiben Historiker so?
Judt weiter: „Rückblickend erkennen wir, dass Israels Sieg im Juni 1967 und seine fortwährende Besetzung der eroberten Gebiete zu seiner eigenen Nakba wurden: eine moralische und politische Katastrophe.“ Wir erkennen das nicht und hören eher die Stimme Ephraim Kishons („Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte“, 1962, „Pardon wir haben gewonnen“, 1968). Judt erwähnt nicht, dass die im Krieg 1956 eroberten Gebiete 1957 zurückgegeben wurden und Israel dadurch keinen sicheren Frieden gewann.
Er vergleicht Israel mit „einem Besatzer und Kolonialisten“. Die reale Politik, die Konfrontation der Staaten, bei welcher arabische Staaten den Krieg als Mittel der „Umkämpfung“ verwenden, die Notwendigkeit, auf diese Herausforderung zu antworten – auch als „Demokratie und Anständigkeit“ – passt nicht zu seiner Vorstellung einer „moralischen Glaubwürdigkeit“. Für ihn verhält sich Israel „unnormal“, das wird aber gleich zum globalen Urteil der Geschichte.
Emmanuele Ottolenghi wies jüngst auf diesen Zusammenhang hin: „Für Judt ist der moderne europäische Antisemitismus, insofern er existiert, das insgesamt vorhersehbare Resultat des schlechten Verhaltens der Juden (in dem Fall, Israelis). Und so wie die israelischen Juden selbst die Schuld dafür tragen, dass die aufgeklärte Welt sie verurteilt, so können sie ihr Leiden erleichtern, und mit ihnen übrigens auch alle anderen Juden auf der ganzen Welt, die zusammen mit ihnen den schwarzen Brief bekommen haben, und zwar durch ausgleichende Akte der Selbstzerstörung und Reorganisation.“ (Dieses Fragment wurde in der deutschen Übersetzung in der „Welt“ ausgelassen.)
Judt will nicht als „De-facto-Kollaborateur des israelischen Fehlverhaltens“ angesehen werden. Und wenn er doch die Angst hat, mit dem „winzigen“ Land in Verbindung gebracht zu werden, das dazu noch „kaum relevant“ ist, dann ist er sofort bereit, diesen Staat aufzugeben (nach seinen Worten, „etwas Abstand von Israel zu nehmen“). Theodor Lessing hat dies als „jüdischen Selbsthass“ bezeichnet.
Judts Vorschlag eines binationalen Israels war mal eine linke Utopie, die von einigen Zionisten (Martin Buber hat seine Vision anders formuliert als die geistigen Vorbilder Judts - Edward Said und Noam Chomsky) in den 30-40er Jahren formuliert und von der UN bei der Gründung des Staates Israel abgelehnt wurde. Dieser Plan hat sich als nicht verwirklichbar erwiesen, denn er setzt die beiderseitige Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz voraus. Das Ansinnen scheiterte an den Positionen der arabischen, insbesondere islamistischen geistigen Führer, deren grundsätzliche Ablehnung 1948 formuliert, noch einmal 1967 bestätigt und bis heute nicht zurückgenommen wurde. Sie lautet: „Arabische Staaten bleiben ihren Hauptprinzipien treu: kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel und Beharren auf den Rechten des palästinensischen Volkes auf ihren eigenen Staat.“ Die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ ist 1964 entstanden, als keine Landflächen von Israel besetzt waren. Der Name bezieht sich auf das gesamte Palästina in seinen Grenzen vor der Gründung Israels. Inzwischen halten sich nicht mehr alle arabischen Staaten an die Khartumer Deklaration, die Arafat- und Abbas-Manifeste wurden seit 1996 mäßiger. Die Hamas-Regierung bleibt aber weiterhin diesen drei „Nein“ treu und zieht jetzt, nach dem berüchtigten „Papier der Gefangenen“, auch Abbas auf ihre Seite zurück. Wer weiß zum Beispiel, dass der Libanon bis heute Israel nicht anerkannt hat?
Judts Vorschlag ist eine pseudomoralische, einseitige Utopie. Zu Ende gedacht ist dieser Vorschlag ein Todesurteil, wie Leon Wieseltier konstatierte: „Ein binationaler Staat ist keine Alternative für Israel. Es ist die Alternative zu Israel.“
Der Student Judt hat die Kibbuz-Begeisterung um sich herum in den Jahren vor 1967 für die weltweite Akzeptanz Israels gehalten. Der Hochschullehrer Judt sieht 2006 aufgrund der unreifen Polemik einiger Studenten seiner Universität das Versagen Israels weltweit als bewiesen. Weil Judt seinen Studenten nicht erklären will oder kann, worin der Unterschied zwischen Francos Spanien und Scharons/Olmerts Israel besteht, soll Israel seine Politik grundsätzlich ändern und sich am besten auflösen. Ist dies die Logik eines Historikers?
Es lässt sich nicht vermeiden, den allzu persönlichen Charakter der Thesen Judts aufzudecken – er spricht vom monolithischen Westen, er erwähnt pauschalisierend „alle anderen“ und konkret die gesamte „nichtkommunistische Linke“, meint aber immer und immer wieder nur sich selbst. Geboren 1948, sollte er eigentlich genauso reif sein wie der Staat, den er so vehement der Unreife beschuldigt. Als Jugendlicher beteiligte er sich an der zionistischen Bewegung und half bei der Immigration britischer Juden nach Israel. Direkt nach dem Krieg 1967 ging er nach Israel und dolmetschte für die Armee. Er träumte von einem sozialistischen Israel und kehrte bald enttäuscht zurück. Man fühlt sich an einen hierzulande bekannten Schriftsteller erinnert, der aus eigenen Empfindungen eine Geschichtsvision und daraus im Umkehrschluss drohende „Moralkeulen“ entstehen ließ.
Judt wurde in seiner eigenen Entwicklung maßgeblich durch den oben erwähnten Professor der komparativen Literaturforschung Edward Said beeinflusst, über den Judt 2004 einen großen Nachruf in tiefster Verehrung schrieb. Judt übernimmt die Ideen und die Argumentation Saids, setzt seine Ideologisierung der neuesten Geschichtsschreibung fort. Said geht es um die palästinensische Beherrschung der Narrative, des Vokabulars. Sein berühmtester Satz ist wie ein Manifest: „Jeder Europäer, der etwas über den Orient sagte, war ein Rassist, ein Imperialist und fast völlig ethnozentrisch“. Begriffe wie „die palästinensische Katastrophe von 1948“, „unseliges Suez-Abenteuer von 1956“, „katastrophale Invasion des Libanon“, Ausdrücke wie „Israel konnte immer noch tun und lassen, was es wollte“, „Instrumentalisierung des Holocausts“ übernimmt Judt aus der palästinensischen Propagandaküche, sie sind Produkte der Palästinenser-Lobby. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum mehrere Artikel des Moralisten Judt seit Jahren übersetzt werden und bis dato kein einziger von Ephraim Karsh, ohne dessen Bücher das geschichtliche Wissen über die Gründung des Staates Israel, über den Krieg 1948, über die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ und Arafat, die gesamte israelische Geschichtsschreibung kaum vollgültig genannt werden kann.
Was bei Judt übrig bleibt, ist eine pseudolinke Phraseologie aus den schönen alten Sechzigern. Sein Versuch, die berechtigten Vorwürfe des Schürens antisemitischer Formeln dabei mit einer „antisemitischen Keule“ im Voraus abzuwehren, schlägt zurück, wie immer. Der Erfolg seiner Texte bei den Antisemiten Rechtsaußen wie Linksaußen ist ein deutliches Zeichen – der gültige Beweis, wie leidvoll die Rhetorik einer Schlussstrich-Mentalität wirkt.
Seine Ideen leben aber auch in der Mitte der Gesellschaft weiter, wie der Appell eines Friedenstifters Navid Kermani zeigt, selbstverständlich in der „Süddeutschen“. Kermani sieht „den Daseinsgrund Israels in seiner Moralität“. Seine Frage ist, „welches Interesse haben wir an Israel?“ Seine Antwort: Nur wenn „Israel sein humanes Antlitz bewahrt“. Und weiter: „Israel ist auf Moral angewiesen, um zu überleben“.
Wieder pluralis majestatis, wieder eine überlegene Perspektive eines moralischen Zeigefingers. Und wieder eine Doppelmoral in ihrer bekannten Einseitigkeit. Am krassesten drückt dies Peter Sloterdijk aus, der im „Kölner Stadt-Anzeiger“ Israels Politik „moralisch inkommensurabel“ genannt hat. Für Richard Cohen („Washington Post“) ist Israel gar ein „Fehler“. Alles Moralisten. Au weia, o Gewalt!

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