«Wie ist denn Deine Frau so im Bett?» - «Die einen sagen so und die andern so.» Lachen wir über den derben Witz mit, nur um die Stimmung nicht zu verderben? Ist das witzig, wenn dem Mann die Untreue seiner Frau so wenig bedeutet oder weil er gar keine Meinung zu ihren Qualitäten hat? Hat der Typ überhaupt eine Meinung?
Nach der Welle antiisraelischer Demonstrationen, insgesamt mehr als 30 bundesweit, in den Medien ausführlich (mit antisemitischen Losungen, facettenreich bis zu kleinen Gewaltszenen am Rande) dargestellt, fragte ich einige Politiker, wie sie damit umgehen. Ein Innensenator merkte dazu an, der Organisator dieser Demos habe sich über die durch die Polizei gesetzten Auflagen beschwert. Viel mehr aber über die gegen die Hasstiraden erhobenen Worte der Stadtpolitiker. Die Jüdische Gemeinde sei jedoch auch unzufrieden, für sie sei damit immer noch zu wenig getan und zuviel erlaubt. „Die einen sagen so, die anderen so“. Dann sei er genau dazwischen, in der Mitte. Damit werde er allen gerecht!
Im Jahre 1999 hat sich die deutsche Regierung an einem Bündnisfall beteiligt, als sie gemeinsam mit anderen NATO-Staaten die Bombardierung im ehemaligen Jugoslawien angeordnet und durchgeführt hat. Dabei wurden nicht weniger als 1100 Streubomben eingesetzt. Nur durch Blindgänger dieser Art starben 150 Menschen. Darüber hat «Frontal21» 2004 ausführlich berichtet. Ganz gewiss ist diese Waffenart zu verbieten (wie übrigens auch viele andere, wie vielleicht der Krieg als Institution; ich würde dabei auch das schlechte Wetter verbieten, wenn’s denn ginge). Warum nur führte und führt die einzige bis heute «überlebende» Ministerin dieser Regierung, Wieczorek-Zeul, sich so auf, als wäre sie gar nicht dabei gewesen? Bevor sie sich zum weiteren moralischen Apostel vor den Toren Israels aufbaut, wäre vielleicht angebracht, zurückzutreten und sich von der Kriegsführung der eigenen Regierung zu distanzieren? Vielleicht auch eine UNO-Untersuchung zum eigenen Schweigen verlangen? Im eigenen Haus anfangen, wenn es moralisch so pressiert? Nein, sie hat die Kriegsregion besucht und «alles» inspiziert (na ja, eigentlich nur die Hisbollah-Bezirke, genau wie UN-Generalsekretär Annan). Anschließend hat sie den Vorwurf der Einseitigkeit zurückgewiesen und sich davon mutig distanziert.
Das Sich-distanzieren gerät mittlerweile zu einer Sportart. Bei einem Fußballspiel wurden vom unparteiischen Schiedsrichter und den übrigen Verantwortlichen 78 Minuten lang antisemitische Ausrufe gegenüber einer Makkabi-Mannschaft weggehört und geduldet. Infolgedessen musste das Spiel unterbrochen werden, was weder der Schiedsrichter noch die Trainerin der gegnerischen Mannschaft bis heute verstehen können. Der mutige Schiedsrichter sei, nach seinen Worten, «vorsichtshalber auf die Tribünenseite gegangen und habe gewartet, dass sich die Lage beruhigt». Die Trainerin äußerte sich noch brillanter: «Sollte es eine ausländerfeindliche Parole oder Hassparole gegeben haben, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Verein […], die Mannschaft sowie ich als Trainerin sich davon strikt distanzieren.»
78 Minuten lang wird gehetzt, die Anwesenden distanzieren sich anstatt einzugreifen. Für Ruhe wird gesorgt, indem und damit sich alle gleich behandelt fühlen.
Persönlich sind sie alle für den Weltfrieden und gegen Antisemitismus, gegen Nazis und für die Demokratie, gegen Streubomben und für Streuhunde. Die Lehre aus der schlimmen NS-Zeit sei doch, die Freiheit der Andersdenkenden sichern zu müssen. Ah so.
In den schönen alten Sowjetzeiten, als noch das Selbstkritikzeremonial zum öffentlichen Ritual gehörte, gab einer auf die Frage, was er denke, vom Rednerpult zu: «Ich habe eine Meinung, bin aber mit ihr nicht einverstanden». Ein Innensenator kämpft gegen die Hetze, indem er sie zulässt. Eine Ministerin erlaubt einem anderen Staat nicht die Waffe, die sie anwenden ließ. Ein Schiedsrichter bestraft mit der roten Karte ausgerechnet diejenigen Spieler, die sich über Hassworte empören. Solche mutigen Helden liegen in ihrer Selbstwahrnehmung richtig, haben nur hier und da etwas dagegen. Denn die einen sagen so, die anderen so.
21. Dezember 2006
Mutig in der Mitte
Diese Kolumne wurd auch für die "Jüdische Zeitung" geschrieben, erschienen im Novemer 2006.
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