21. Dezember 2006

Soldaten als Weihnachtsmänner

Nach der Ruhr-Triennale 2006 war es irgendwie unmöglich, den folgenden Text über die "Soldaten-Inszenierung unterzubringen. Übrig geblieben sind ein Exposé und ein kurzer Artikel in der russischen Sprache, erschienen stark gekürzt in der Zeitung "Vedomosti" am 9.11.2006.
Die Ruhr-Triennale 2006 glänzte mit der Inszenierung der Oper „Die Soldaten“ (1965) von Bernd Alois Zimmermann. Zum ersten Mal in der Werkgeschichte wurde daraus ein „totales Theater“ gemacht. Das Publikum wurde um das szenische Podest herum gefahren, eine einmalige technische Lösung, durch die Gegebenheiten der Bochumer Jahrhunderthalle ermöglicht. Daraus ist eine sehr starke emotionale Wirkung entstanden, wobei die Musik in der räumlichen Perspektive ganz anders wirkte als je. Das Ballett, die Pantomime, die szenische Bewegung bekamen durch das 120 Meter lange Podest eine fast rituelle Bedeutung.

Die musikalische Seite war gut vorbereitet, insbesondere gelungen - zwei Frauenrollen.

Das Problem der Inszenierung ist allerdings eine merkwürdige Abweichung in der Kernfrage vom Original. Zugegeben, es gibt bis dato keine Inszenierung, die den Wünschen des Autors voll und ganz entsprechen würde. Normalerweise suchten Regisseure ihre Deutung in der Zuspitzung der existenzialistischen Tendenzen des Werkes über das „Gejagtsein“ der Menschen im Zeitalter des Krieges. Zimmermann sah die Welt pessimistisch und setzte hier unter anderem auch seine persönliche Kriegserlebnisse um, die seine Gesundheit ruiniert und seinen Glauben an das Gute im Menschen erschüttert haben. Die Handlung läuft, nach seinen Angaben, „gestern, heute und morgen“, es hätten Filme, Geräusche des Krieges, Stöhnen und Rufe zu alledem kommen müssen, was in Bochum geboten wurde. Die Soldaten sind in der Oper ein Sinnbild der Zerstörung, die Krieg mit sich bringt, der körperlichen wie moralischen. Die Lenzsche Vorlage ist anders gemeint und ausgerichtet. Zu Beginn der Inszenierung marschieren die Soldaten langsam am Publikum vorbei, sie zeigen sich gewaltbereit, amüsieren sich, ziemlich genau den Partituranweisungen folgend. In den aber entscheidenden Gewaltszenen des vierten Aktes sind keine Soldaten mehr zu sehen. Plötzlich sind es maskierte „Schweine“ und gar Weihnachtsmänner, die Marie (Hauptfigur der Oper) vergewaltigen, brutal und erschreckend nah. Und das noch verdreifacht durch Doubles. Sind alle Männer Schweine, speziell Weihnachtsmänner? Das ist keine Kriegswelt mehr, keine existenzielle Angst, keine katholische Botschaft, sondern eine Entpolitisierung des Theaters, welches aus der Zeit eines Fassbinders, eines Bölls, eines Piscators stammt. Eine völlig andere Intention.

Über die Grenzen des Regietheaters wird gerne diskutiert, ganz zu recht, wenn Regisseure die früheren Werke wie von Mozart modernisieren, und dazu noch meist im Widerspruch zu Musik und Wort. Die zeitgenössischen Opern sind aber gerade dafür komponiert, um vom Regietheater aufgenommen und getragen zu werden. David Pountney, der britische Regisseur, hat hiermit das für das Regietheater erschaffene Werk technisch (als totales Theater) zum ersten Mal näher an das Original gebracht und zu gleicher Zeit inhaltlich ruiniert, ihm jegliche Aktualität genommen, gegen die Musik und das Wort.


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